Im Französischunterricht durfte ich eine Lektüre von 4 vorgegebenen auswählen. Gewählt habe ich als einzige die Lektüre «Stupeur et Tremblements» von Amélie Nothomb. Der Titel heisst übersetzt «Ehrfurcht und Zittern», was auf die Erwartungen in der japanischen Kultur hinweist. Ich, die mit der persischen Kultur aufgewachsen ist, hatte ähnlich wie Amélie, die Protagonistin der Erzählung, einige kleine Kulturschocks. Deshalb möchte ich in diesem Blogeintrag einerseits die Erzählung thematisieren und andererseits Unterschiede zwischen den beiden Kulturen aufzeigen.
Ein Blogeintrag von Mohaddessa Hosseini
Der Titel «Stupeur et Tremblements» bezieht sich auf eine japanische alte Regel, die beim Umgang mit dem Kaiser eingehalten werden sollte. Die Menschen sollen fast schon zittern und Ehrfurcht haben. Die Erzählung basiert auf Amélie Nothombs eigenen Erfahrungen in einem japanischen Unternehmen namens Yumimoto. Sie beginnt ihren Job voller Enthusiasmus, möchte sich so gut es geht integrieren und ist hoch motiviert, ihren Beitrag im Unternehmen zu leisten. Wie es sich als Mensch auch gehört, macht sie Fehler. Diese werden hart bestraft von ihrer Vorgesetzten Fubuki Mori. Sie wird Schritt für Schritt degradiert, statt aufzusteigen. Anfangs arbeitete sie als Dolmetscherin, da sie die japanische Sprache gut beherrschte. Ihre Position ändert sich zur Sekretärin, dann hilft sie bei der Büroarbeit und später serviert sie nur noch den japanischen Mitarbeitern Tee. Abschliessend endet ihre Degradierung als Putzfrau von Toiletten.
Sie wird in ihrem Arbeitsalltag ständig gedemütigt. Doch Amélie bleibt sich selbst treu und anstatt zu zerbrechen an den Umständen, nimmt sie sogar die Arbeit, das Toilettenputzen, mit Würde an. Dadurch wird sie trotz ihrer äusserlich wahrnehmbaren Degradierung zu Putzfrau zur moralischen Siegerin. Ihr Widerstand zeigt sich in ihrem Durchhaltevermögen. Sie hat so lange nicht gekündigt, bis ihr Aufenthalt fast vorbei war, um «ihr Gesicht nicht zu verlieren», wie sie es bezeichnet. Hätte sie als Putzfrau gekündigt, wäre dies für sie wie ein Eingeständnis ihrer Niederlage. Sie würde öffentlich zeigen, dass sie gescheitert ist und für sie ist das schlimmer als jede Demütigung. Die Erzählung kritisiert somit die ausgeprägte Hierarchie und die Art und Weise wie mit Nicht-Japanern umgegangen wird in der japanischen Arbeitswelt. Sie erlebt einen deutlich spürbaren Kulturschock.
Wie bereits erwähnt, konnte ich beim Lesen von Stupeur et Tremblements einige deutliche Unterschiede zwischen der japanischen Kultur, wie sie in der Erzählung dargestellt wird, und der persischen Kultur, in der ich aufgewachsen bin, feststellen. Sowohl in der japanischen als auch in der persischen Kultur ist Respekt gegenüber Vorgesetzten und älteren Menschen tief verankert. Doch die Art und Weise, wie dieser Respekt gezeigt wird, unterscheidet sich deutlich.
Im japanischen Unternehmen gehorcht Amélie ihren Vorgesetzten blind und kann ihre eigene Meinung nicht äussern. Sie kritisiert nur durch Ironie. Dies ist ihre Art und Weise mit dieser Erniedrigung umzugehen. Die japanische Arbeitswelt erscheint in ihrer Darstellung zurückhaltend. Zudem wird der Humor und Amélies Ironie als respektlos, unangemessen oder sogar als beleidigend wahrgenommen in der japanischen Kultur. Es gehöre sich nicht formellen Situationen und schon gar nicht in Amélies Situation, am Arbeitsplatz, ironische oder sarkastische Bemerkungen zur Arbeit zu machen.
In der persischen Kultur hingegen gibt es einen grösseren Spielraum für Kritik. Dieser wird oft genutzt, um die Kritik als Witz zu formulieren oder anders in «Watte» zu verpacken, um das Gegenüber nicht allzu zu verletzen. Zudem sind Witze, allgemein Humor ein Wiedererkennungsmerkmal der persischen Kultur. Lachen, Witze und Spässe gehören zum Alltag, auch im Umgang mit Vorgesetzten beispielsweise, da oft fast ein familiäres Verhältnis untereinander ist. Es herrscht eine warme zwischenmenschliche Nähe, die spürbar ist. Es wird viel gefragt, viel gefühlt und viel diskutiert. Diese emotionale Lebendigkeit und Offenheit fehlt der japanischen Arbeitswelt, wie Amèlie sie beschreibt.